Museum Ritter

Reiner Seliger, Relief „white cross“

Das großformatige Relief „white cross“ des 1943 geborenen Künstlers Reiner Seliger erzielt seine Wirkung durch den Einsatz eines einzigen Materials: weißer Tafelkreide. Das dichte All-over aus einer Vielzahl von zum Teil abgebrochenen, aufgestellten und nebeneinandermontierten Kreidestücken erzeugt eine starke haptische Anziehungskraft und erscheint wie ein chaotisch bewegtes, zerklüftetes Feld.
Doch folgt das zunächst als regellos wahrgenommene Durcheinander gewissen Formprinzipien, die für das Schaffen Seligers charakteristisch sind. So bilden die repetitiv eingesetzten, industriell normierten Kreiden in ihrer Gesamtheit die Form eines Quadrats, dessen Binnenstruktur von bogenförmig ausgebreiteten und bündelweise parallel angeordneten Elementen bestimmt ist. Somit wohnt dem Werk durchaus eine gewisse Ordnung inne, deren fließende Gestalt einem wogenden Kornfeld ähnelt.

Das poröse Material Kreide, die feingliedrigen Elemente, die samtene Oberfläche, die weiße Farbe sowie die Ausfransungen an den Rändern verleihen dem Objekt eine fragile Anmutung. Die in diesem Werk angewandte Technik, die weißen Kreidestifte sozusagen „kreuz und quer“ zu montieren (daher auch der Titel „white cross“), unterscheidet sich von früheren Kreidearbeiten Seligers, in denen er die einzelnen Stücke akkurat nebeneinander aufreihte.

Reiner Seliger hat einen gewöhnlichen Gebrauchsgegenstand, der dem Betrachter insbesondere als Schreib- und Zeichenwerkzeug aus dem Schulunterricht vertraut ist, in eine sinnlich-ästhetische Form überführt. Ihrer ursprünglichen Funktion enthoben, wird uns die Tafelkreide in ihrer materiellen Beschaffenheit vorgestellt. Ihr Einsatz als Strukturelement legt Vergleiche mit Günther Ueckers Nagelobjekten nahe.

Das Œuvre Reiner Seligers zeichnet sich generell durch eine konsequente Verwendung von einfachen, leicht verfügbaren und günstigen Materialien aus; bisweilen setzt der Künstler auch Reste aus der Industrie ein. Neben Kreide gehören Ziegelsteine, Glasbruch, Styropor, Plexiglas und Beton zu seinem Fundus. Er schafft daraus Bildreliefs, architektonische Skulpturen, Installationen und Werke im öffentlichen Raum, in denen sich stets physische Präsenz und sinnliche Ornamentik miteinander vereinen.

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